15. December 2020

Genau in dieser Zeit in ein Stille-Retreat zu gehen ist wie ein stilles Gegensteuer in einer Zeit, in welcher die meisten Menschen Weihnachten nur noch als ein Familienfest betrachten und die spirituelle Dimension darin vergessen haben.

Eine Szene des Markusevangeliums (3,31-35 – auch Matthäus 12,48) lässt Jesus auf das Kommen seiner nächsten Angehörigen so reagieren:

„Jesu Mutter und Geschwister waren gekommen, standen vor dem Haus und liessen ihn zu sich rufen. Um Jesus herum sass eine Volksmenge. Da sagten einige zu ihm: „Deine Mutter, deine Brüder und deine Schwestern sind draussen und suchen dich.“ Er antwortete ihnen und sagte: „Wer ist meine Mutter? Wer sind meine Geschwister?“ Er schaute sich um, sah sie im Kreis um ihn herum sitzen und sprach: „Ihr seid meine Mutter und meine Geschwister. Alle, die den Willen Gottes tun, sind mein Bruder, meine Schwester und Mutter.“
Das ist die natürliche Reaktion von jemanden, der Transzendenzerfahrung kennt und erlebt. Er verliert die spezifische Nähe zur  Herkunftsfamilie, denn er möchte einen Weg von Freiheit gehen und nicht aufgrund dem illusionären Verbundenheitsgefühl zu körperlichen Angehörigen die natürliche Ausweitung des Bewusstseins verlieren.
Jesus nennt die Frauen und Männer, die ihm effektiv nachfolgen, seine wesentlichen Familienmitglieder, denn nur sie vermögen die Verlässlichkeit und Beheimatung schenken, was körperliche Anhängsel niemals geben könnten, nur weil sie genetisch verwandt sind. Es ist dieser nicht mehr biologisch verengte Familienbegriff, wovon die Upanishaden auch sprechen: vasudeva kutumbakam… wir sind vereinigt in der universellen Gemeinschaft der Gottesdiener.
Jesus kam nicht in diese Welt hinein, um Anhaftungsstrukturen als spirituell zu legitimieren und die Struktur genetischer Verwandtschaft als Liebe zu bezeichnen. Im Lukasevangelium forderte er klar und deutlich, sich von der Identifikation als Familienknäuel loszulösen:

„Wenn jemand zu mir kommen will, muss ich ihm wichtiger sein als sein eigener Vater, seine Mutter, seine Frau, seine Kinder, seine Geschwister und selbst als sein eigenes Leben; sonst kann er nicht mein Jünger sein.“ (Lk 14,26)
Denn ein solcher hat die Wahl seines Liebesobjekts bereits in dieser Welt verortet. Hat man dies getan, würde man das Heilige, Gott, nur noch als Korrekturinstanz sehen, wenn es nicht wunschesgemäss verläuft im eigenen Lebensplan. Genau dies stellt den Verrat und die Preisgabe der lebendigen Gottesbeziehung dar.

In solchen Aussagen von Jesu geht es nie um Ablehnung oder Frustration mit den Verwandten, sondern immer nur um die Einpünktigkeit in der einzigen Liebesbeziehung der Seele.
Jesus spricht über diese tiefe Prioritätensetzung, welche in der Bhagavad Gita (2.41, 9.22, 8.14) ein grosses Thema ist:
„Wer Vater oder Mutter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert.“ (Matt 10:37)
Denn Liebe hat ganz natürlich eine Einpünktigkeit.